Sonntag, 7. März 2010
Shocking! - Aston Martin Lagonda von Minichamps, 1:43
Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts stand Aston Martin permanent kurz vor der Pleite. 1975 wechselte das Unternehmen nach einem Insolvenzverfahren einmal mehr den Besitzer und die neuen Geldgeber erkannten schnell die Notwendigkeit einer Erneuerung der Modellpalette, denn die Geschäfte liefen sehr schleppend. Neue Produkte mussten her um neues Geld in die Kasse zu spülen. Ein solches Produkt sollte eine exklusive Sportlimousine sein, um das Programm nach oben zu erweitern und um die Handlungsfähigkeit und den Innovationswillen des Unternehmens trotz seiner wirtschaftlichen Probleme zu unterstreichen. Einen ersten Versuch eines solchen Fahrzeuges hatte es 1974 gegeben, als man den Aston Martin Lagonda vorstellte, damals eine verlängerte Version des bekannten Aston Martin V8. Trotz zahlreicher Auszeichnungen für das Design war das Auto ein kommerzielles Desaster, ganze sieben Fahrzeuge entstanden. Somit war klar: Wenn man ein solches Auto bauen wollte, dann durfte es optisch nicht an die Coupés erinnern.
Am 12. Oktober 1976 präsentierte Aston Martin der Fachwelt den neuen Lagonda und die Reaktionen des Publikums schwankten zwischen großer Begeisterung und großem Schock. Das Blechkleid des neuen Viertürers erinnerte nicht mehr an irgendeinen anderen Aston Martin - genau genommen erinnerte es an überhaupt kein jemals gebautes Auto. Das Karosseriedesign stammte aus der Feder des britischen Designers William Towns, einem begeisterten Anhänger des zeitgenössischen "Folded Paper"-Designs, einer Gestaltungsrichtung, die versucht, möglichst auf Rundungen zu verzichten und stattdessen auf messerscharfe Kanten und glatte Flächen setzt. Der Lagonda ist sicher bis heute der extremste Vertreter dieser Linie. Dabei war Towns auch sehr an Aerodynamik interessiert, das Auto sollte eine möglichst kleine Stirnfläche haben und relativ flach ausfallen. Beides war dem mutigen Gestalter gelungen, der Lagonda war an der Front flacher als die meisten Sportwagen der damaligen Zeit. War das Karosseriekleid des Lagonda schon ausgefallen bis grenzwertig, war man mit der Gestaltung des Armaturenbrettes endgültig im Reich des Wahnsinns angekommen. Der Lagonda verfügte als erstes Serienautomobil weltweit über digitale Instrumente mit LCD-Anzeigen - und das zu einer Zeit, in der Digitaluhren noch sensationelle High-Tech waren! Zudem waren im Cockpit keine Schalter im üblichen Sinne zu finden, alle Bedienelemente wurden über Sensorfelder betätigt. Die Fachwelt war verblüfft und die zahlungskräftige Klientel, besonders aus dem nahen Osten, zeigte sich begeistert. Trotz eines sehr hohen Verkaufspreises gingen zahlreiche Bestellungen in Newport Pagnell ein und brachten Geld in die klammen Kassen - der Plan hatte funktioniert, Aston Martin hatte alles richtig gemacht.
Dieser Eindruck war allerdings nicht von langer Dauer. Erst 1977 wurde der erste Lagonda an seinen Besitzer ausgeliefert, massive Probleme mit der revolutionären Elektronik verzögerten den Serienanlauf - und jener Erstling erwies sich als unfahrbar - die Elektronik legte das Auto ständig lahm. Zwar verbesserte sich die Situation mit den Jahren, aber bis zuletzt war der Lagonda ein anfälliges Stück Technik. Zudem wurde schnell ein weiteres Problem deutlich, die Kombination aus dem bewährten Aston Martin V8-Triebwerk und einem bei Chrysler zugekauften Getriebe führte zu katastrophalen Verbrauchswerten, die selbst den Ölmagnaten des arabischen Raumes inakzeptabel erschienen. Somit entwickelte sich der revolutionäre und futuristische Lagonda letztendlich trotz mehrerer Überarbeitungen doch zu einem Misserfolg, bis zur Produktionseinstellung 1990 entstanden nur 645 Exemplare.
Dank seines ungewöhnlichen - vielleicht auch eher "unfassbaren" - Designs wurde der Aston Martin Lagonda eine Legende der Automobilwelt und hat für viele Automobilenthusiasten Kultstatus. Modelle dieses Fahrzeuges sind rar gesät, in letzter Zeit gab es ein exzellentes Modell der italienischen Kleinserienschmiede Tron, aber im Großseriensektor waren Modelle bislang Fehlanzeige. Diese Zeiten sind dank Minichamps nun vorbei! Endlich haben die Aachener ihr Modell des wahnwitzigen Geschöpfes aus Newport Pagnell in den Handel gebracht und ein Schmuckstück auf die Räder gestellt.
Zunächst einmal sei der perfekten Umsetzung des Designs Lob gezollt. Die Linien des William Towns hat man makellos in den Maßstab 1:43 verkleinert und alle Besonderheiten hat man bemerkenswert gut umgesetzt. Betrachten Sie nur die winzigen Frontleuchten samt Darstellung der Reflektoren, den kleinen Frontgrill und die geschlitzten Rückleuchten! Auch die seitlichen Chromleisten sind an Ort und Stelle, sehr schön auch die Scheibenräder, die an den frühen Lagonda genau so ausgesehen haben. Wichtig für das Erscheinungsbild sind natürlich die scharfen Kanten der Karosserie, die Minichamps exakt nachbildet und die glücklicherweise auch nicht durch zu dicken Farbauftrag verfälscht werden.
Überhaupt ist die Verarbeitung hier sehr zu loben. Die bedruckten Scheibenrahmen sind genauso präzise aufgebracht, wie der schmale goldene Streifen an der Flanke des Lagonda. Der nur schwer einsehbare Innenraum überzeugt mit einer genauen Nachbildung der ungewöhnlichen Cockpitarchitektur und einer exakten Wiedergabe der luxuriösen Ausstattung des futuristischen Gefährtes. Der Lagonda mag für Aston Martin kein uneingeschränkter Erfolg gewesen sein, für Minichamps dürfte er ein sicherer Hit werden!
Unser Fotomuster wurde uns freundlicherweise von Menzels Lokschuppen zur Verfügung gestellt. Wir bedanken uns herzlichst für die Unterstützung!
Text und Fotos: Georg Hämel