Freitag, 9. April 2021
Im Stil der Düsenjets - Stanguellini 1200 Spider America Bertone von Avenue 43, 1:43
Mit Fiat, Bertone, Stanguellini und Franco Scaglione hat dieser kleine Spider gleich vier Elternteile, das ergibt eine interessante Geschichte, die anhand des neuen Modells von Avenue 43 erzählt werden soll.
Der 1957 zum Turiner Salon präsentierte Fiat 1200 Granluce war, wie schon der Namenszusatz suggerierte, eine Luxusversion des Millecento und gleichzeitig Ersatz für dessen sportlichere Variante 1100 TV. Während der Prototyp noch über vordere Selbstmördertüren verfügte, waren in der Produktion alle Türen vorne angeschlagen. Vor allem der Dachaufbau und die Heckgestaltung mit länger gezogenen Kotflügeln nahm spätere Weiterentwicklungen des 1100 voraus, Zusätzlich wurde der Hubraum auf 1221 ccm und die Leistung auf 55 PS gesteigert.
Für das Projekt eines kleinen Sport-Spiders musste aber erst noch Vittorio Stanguellini Hand anlegen. Die Familie begann bereits 1908 mit einer Fiat-Vertretung in Modena. In den 30er Jahren startete man mit dem Tuning von Fiat-Modellen und dem Bau von kleinen Rennwagen. Ende der 50er Jahre waren vor allem die Formel Junior der Marke berühmt, liebevoll konstruiert sahen sie aus wie Miniaturen der aktuellen Grand Prix-Renner. Stanguellini produzierte bereits in minimaler Stückzahl ein Coupé auf Basis des Fiat 1100 TV, das Design stammte von Franco Scaglione, der damals Chefdesigner bei Bertone war. Mit den üblichen Tuningmaßnahmen wie zwei Weber-Vergasern und Feinjustierung des Triebwerks wurden sicher mehr als 65 PS erreicht. Stanguellini beendete übrigens die Produktion von Rennwagen 1965, die Fiat-Vertretung mit ihrer prägnanten Architektur existiert noch heute mit einem kleinen Museum, in dem sowohl Autos als auch viele Memorabilia bewundert werden können.
Nuccio Bertone führte die weltberühmte Carrozzeria gleichen Namens bereits in zweiter Generation, beschäftigte aber immer einen Chefdesigner, berühmte Namen wie Michelotti, Giugiaro oder Gandini prägten ihre eigenen Epochen unter Nuccios Führung. Von 1952 hatte Franco Scaglione diese Position inne und sorgte für spektakuläre Einzelstücke wie die BAT-Reihe auf Alfa Romeo-Basis, aber auch für in Serie gebaute Ikonen wie die Giulietta Sprint aus gleichem Hause. Eine Vorliebe hatte der Designer für das damals hochmodische Jetdesign, das in abgeschwächter Form in der Alfa Romeo Giulietta Sprint SS zu finden war, aber bei dem Fiat 1200 Spider America, der wie seine Basis 1957 in Turin präsentiert wurde, durfte er seiner Phantasie freien Lauf lassen. So findet man einen kleinen, weit nach vorne gezogenen, ellipsenförmigen Kühllufteinlass, eingezogene Flanken hinter den Vorderrädern, eine Panoramascheibe und Flossen auf dem lang abfallenden Heck. Zweifellos ein sehr modisches Design, das im Jahr 1957 sicherlich für Aufsehen sorgte, aber wohl doch etwas zu amerikanisch, wie ein verkleinerter Dream Car aus Detroit. Vielleicht war auch das ein Grund, dass der Spider America ein Einzelstück blieb, das erfreulicherweise heute noch existiert.
Nach einer Präsentation beim Concours d'Elegance in Cortina d'Ampezzo 1958 landete das Auto in Argentinien, wo es 1960 beim Autosalon in Buenos Aires ausgestellt und verkauft wurde. Nach einigen Jahren stellte der Besitzer den Spider ab, er tauchte erst 1994 wieder auf, zwar in bedauernswertem Zustand, aber komplett, was eine perfekte Restaurierung erleichterte. Seitdem sah man den Stanguellini 2004 am Comer See beim Concours in der Villa d'Este und 2015 in Pebble Beach. 2017 erfolgte der Verkauf bei einer Versteigerung von RM Auctions in Amelia Island für 275.000,- $, nicht schlecht für einen kleinen Fiat! In Europa konnte man ihn 2020 bei einer Sonderausstellung in Paris bewundern, die unter dem Titel „Concept Cars - Beauté Pure“ lief.
Modelle solcher Design-Ikonen finden natürlich mein Interesse, deshalb musste der Stanguellini in der Vitrine einparken. Über das Modell, das Autocult für seine Linie Avenue 43 produziert hat, gibt es fast nur Gutes zu berichten. Die Karosserielinie ist perfekt getroffen und die Details stimmen. Auch Kleinigkeiten, wie die unterschiedlichen Logos an Front und Heck wurden beachtet, vorne Fiat, hinten Stanguellini. Besonders gelungenen ist das Interieur, die blauen Sitze mit weißen Nähten, die Türinnenverkleidungen oder das Cockpit mit dem vom Basis-Fiat übernommenen Bandtacho und dem Lenkradschalthebel. Auch die schlichten Stahlfelgen mit Chromradkappen und schmaler Bereifung sind vorbildlich. Einziger Wermutstropfen ist die Windschutzscheibe. Gegenüber den Prototypen, wo der Rahmen eher wie ein Überrollbügel aussah, hat man zwar eine feinere Lösung gefunden, aber die Form stimmt einfach nicht. Beim Original war das kein gleichmäßiger Bogen, sondern die Scheibe war breiter und oben flacher, sonst hätte es sicherlich mit den vorhandenen Kurbelfenstern in den Türen sowie mit dem vorhandenen Verdeck Probleme gegeben. So bleibt ein kleiner Schwachpunkt an einem ansonsten sehr schönen Modell anzumerken.
Unser Fotomuster kommt von Supercars in München, vielen Dank für die Unterstützung.
Fotos und Text: Rudi Seidel