Dienstag, 19. Juli 2022
Rückzug im Streit - Ferrari 365 GTB/4 Michelotti NART Le Mans 1975 von Tecnomodel, 1:43
Seit Kurzem bedient die italienische Marke Tecnomodel, die bisher vor allem im Maßstab 1:18 tätig war, auch den 1:43-Sammler mit in China gefertigten Resine-Miniaturen interessanter Vorbilder. Als Besprechungsmuster haben wir uns den Ferrari 365 GTB NART Michelotti Spyder ausgesucht, mit dem das North American Racing Team 1975 in Le Mans starten wollte.
Luigi Chinetti, italienischstämmiger Amerikaner und dreifacher Sieger der 24 Stunden von Le Mans (1932, 1934 und 1949), traf sich 1946 mit Enzo Ferrari, daraus entstand eine langjährige Geschäftsbeziehung. Bereits 1949 begann Chinetti Motors mit dem Import von Ferraris in die USA. Ende der 50er Jahre entstand das North American Racing Team (NART), das noch bis 1983 vor allem bei Langstreckenrennen aktiv war. Bis auf wenige Ausnahmen startete man nur mit Ferrari-Rennwagen, der größte Erfolg des Teams war der Sieg von Jochen Rindt und Masten Gregory bei den 24 Stunden von Le Mans 1965 mit einem älteren 250 LM, nachdem die Werkswagen von Ferrari und Ford ausgefallen waren. NART war nie eine große Organisation, die meisten Mitarbeiter wurden für die Rennen von Chinetti Motors abgerufen. Deshalb war die Vorbereitung oft suboptimal und auch die Finanzkraft ließ zu wünschen übrig. Dennoch war es erstaunlich, was Chinetti und sein Team mit Enthusiasmus auf die Rennstrecke brachten. Für 1975 wollte man in Le Mans gleich mit vier Autos antreten: einer Berlinetta Boxer, einem Daytona, dem Michelotti Spyder und einem Dino 308 GT4. Im Stammhaus in Maranello war man nicht begeistert, sowohl der Dino als auch der BB waren nicht ausgereift und dementsprechend kein Aushängeschild für die Marke. Zum Training traten dennoch alle vier NART-Autos an und drei schafften die Qualifikation. Beim Dino schieden sich allerdings die Geister, es kam zum Streit zwischen den Organisatoren und dem heißblütigen Chinetti über die Einstufung des Fahrzeugs und damit seiner geforderten Rundenzeit. Es ging hin und her, bis der Teamboss kurz vor dem Start des Rennens alle vier Autos zurückzog und damit die Organisation ins Chaos stürzte. So wurden dem Publikum diese sicherlich interessanten Autos vorenthalten.
Der Ferrari 365 GTB4/15965 war ursprünglich ein serienmäßiges Daytona-Coupé, mit der im Auftrag von Chinetti und dem damaligen Besitzer Daniel Ward durch Giovanni Michelotti entworfenen Targa-Karosserie debütierte er zum Genfer Salon 1975, wo ihn der Verfasser dieses Artikels bewundern und fotografieren konnte. Dass man mit so einem Einzelstück nach Le Mans kam, war schon etwas Besonderes. Als Fahrer der Startnummer 46 waren die Franzosen Jean-Pierre Malcher und Patrick Langlois sowie der Italiener Carlo Facetti genannt. Natürlich wurde der Michelotti-Spider für den Renneinsatz modifiziert, vor allem durch Schnelltankverschlüsse und die Sidepipes anstatt einer konventionellen vierflutigen Auspuffanlage. Die auffällige Lackierung in Weiß mit roten und blauen Akzenten blieb erhalten, wie auch das hellblaue Interieur. Übrigens fertigte Michelotti insgesamt fünf offene Karosserien auf Basis des 365 GTB4 Daytona, die allerdings sehr große Unterschiede aufwiesen. #15965 war noch einmal für ein Rennen, die 24 Stunden von Daytona 1978 gemeldet, trat aber nicht an. Der Ferrari hat einige Besitzerwechsel hinter sich, war zeitweise sogar rot mit hellbraunem Interieur, inzwischen sieht er wieder nahezu so aus, wie er in Le Mans hätte starten sollen. Den ganzen Lebenslauf und viele interessante Fotos findet man auf www.barchetta.cc
Die Beurteilung der Miniatur von Tecnomodel fällt sehr zwiespältig aus. Auf den ersten Blick passt der Ferrari ganz gut, die Fertigungsqualität ist bis auf leichte Probleme beim Windschutzscheibenrahmen zufriedenstellend und man findet einige feine Details. Die Lackierung und die Verläufe von Rot nach Weiß sind ganz gut gelungen, das sieht mit freiem Auge besser aus als im Foto. Die Räder wirken in der Seitenansicht stimmig, sind allerdings viel zu breit. Bei der Dekoration und der Präzision der kleinen Anbauteile passt allerdings fast gar nichts. Die Decals entsprechen weder dem Zustand beim Training als auch beim verhinderten Start. Den Ferrari-Schriftzug am Heck trägt nur das aktuelle, restaurierte Fahrzeug. Es fehlen Startnummernbeleuchtungen, Abschleppöse hinten, Motorhaubensicherungsgurt rechts, Zusatzschlusslicht, rechter Spiegel, dazu kommt der falsch angeordnete Notschalter, der beim Original vor dem blauen Streifen sitzt. Die Abziehbilder sind nahezu alle falsch positioniert, zu klein, zu groß, schade, dass man den schönen Michelotti-Schriftzug an den Flanken unterschlagen hat. Für den Sammler, der für rund 100 Euro ein vorbildgerechtes Modell erwartet, ist dieser Ferrari eine Katastrophe. Wer es nicht so genau nimmt, und sich an der Form und der Lackierung des Michelotti-Einzelstücks erfreut, wird das Auto dennoch in der Vitrine parken, leider sind die bisher gefertigten Miniaturen von Tron/Beebop und Matrix schon formal so daneben, dass sie keine Alternative darstellen.
Wenn Tecnomodel sich auf dem Markt der höherwertigen Resine-Miniaturen etablieren will, dürfte einiges an höherem Qualitätsbewusstsein und genauerer Recherche notwendig sein. So enttäuscht man den Sammler, der zukünftige Neuheiten kritisch betrachten wird.
Ferrari 365 GTB/4 Michelotti N.A.R.T. Le Mans 1975, Tecnomodel, Bestellnummer TM4310A, Auslieferung Juli 2022, Limitierung auf 140 nummerierte Exemplare, Made in China.
Unser Fotomuster kommt von Raceland in Dietenhofen, vielen Dank für die Unterstützung.
Fotos und Text: Rudi Seidel