Samstag, 4. Juni 2022
Keilförmige Design-Ikone - Lancia Stratos HF Bertone 1970 von Top Marques, 1:43
Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre überschlugen sich die großen italienischen Designhäuser Pininfarina, Bertone und Italdesign mit Aufsehen erregenden Studien wie Bizzarrini Manta, Alfa Romeo Carabo, Ferrari 512 S Berlinetta Speciale und Pininfarina PF Modulo, um nur einige zu nennen. Einer der Höhepunkte war sicherlich der 1970 beim Turiner Salon präsentierte Lancia Stratos HF Bertone, ein spektakuläres Meisterwerk des damaligen Chefdesigners Marcello Gandini. Mit 358 cm Länge und unglaublichen 84 cm Höhe war der rotbraun metallic lackierte Keil die extremste Möglichkeit, zwei Personen in einem Auto unterzubringen. Diese waren allerdings mehr oder weniger liegend mit den Füßen vor der Vorderachse untergebracht, der Einstieg erfolgte über die hochklappbare Windschutzscheibe, wobei man zumindest die Lenksäule nach oben ziehen konnte. Es waren also Artisten mit Jockeyfigur gefragt. Den Rest des Keils nahmen das Reserverad und die Antriebstechnik einer Lancia Fulvia 1600 HF ein, die als Mittelmotor installiert wurde. Da Bertone Lancia zunächst nicht über das Projekt informieren wollte, zerlegte man für den Stratos einen Gebrauchtwagen. Natürlich war der Stratos Zero, wie er später genannt wurde, eher eine Skulptur als ein Auto. Dennoch war er voll fahrfähig, angeblich soll Nuccio Bertone damit sogar bei einem Besuch bei Lancia unter der Eingangsschranke durchgefahren sein. Selbst der spätere Formel 1-Weltmeister Emerson Fittipaldi ließ sich bei einem Besuch im Bertone-Werk in Grugliasco die Chance nicht entgehen, dem Stratos auf abgesperrter Strecke die Sporen zu geben. Weitere auffällige Details des kleinen Keils waren die dreieckige Motorhaube, die vordere Lichtleiste mit zehn kleinen Scheinwerfern und das Cockpit mit einem links vom Fahrer platzierten Instrumentendisplay. Heute wäre das natürlich ein Touchscreen, aber wir sprechen von 1970!
Tatsächlich entstand aus dieser futuristischen Studie noch ein (Klein)serienfahrzeug. Anlässlich des erwähnten Besuchs von Nuccio Bertone bei Lancia kam es zu ersten Gesprächen mit dem Generaldirektor Ugo Gobbato und dem hinlänglich bekannten Rennleiter Cesare Fiorio über ein Nachfolgemodell für die Fulvia HF auf den Rallyepisten. Was daraus wurde, ist ja bekannt, eines der erfolgreichsten Rallyeautos aller Zeiten.
Was geschah mit dem Stratos Zero über die Jahre? Ich kann mich erinnern, dass er ca. Ende der 70er sogar im BMW-Museum in München ausgestellt war. Irgendwann wurde er in Silber metallic neu lackiert und tauchte weiterhin bei diversen Events auf. Im Jahre 2000 erhielt er anlässlich einer Restaurierung seine Originalfarbe zurück. Als Bertone in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geriet, entschloss sich Lilli Bertone, Nuccios Witwe, einige der Kronjuwelen der Firmensammlung zu versteigern. Dazu gehörte neben dem Corvair Testudo, den Lamborghini Marzal, Bravo und Athon auch der Lancia Sibilo und eben der Stratos Zero. Insgesamt erzielte RM Auctions immerhin 3,6 Millionen Euro für die sechs Studien, man hätte allerdings deutlich mehr erwartet. Der Stratos ging für 761.600,- Euro an den kalifornischen Sammler Thomas Mao, der versprach, ihn weiterhin bei Concours oder Ausstellungen zu zeigen. Der aktuelle Besitzer Phillip Sarofim, ebenfalls aus Kalifornien und millionenschwer, präsentierte den Stratos zum Beispiel zum Concorso d'Eleganza in der Villa d'Este am Comer See, auf Youtube finden sich diverse Videos dazu.
Natürlich hat der Stratos HF bereits nach seiner Salonpremiere die Hersteller von Modellautos interessiert, die schönste Miniatur dürfte von Pilen aus Spanien stammen und weist zu öffnende Frontscheibe und Motorklappe auf. Vor über zehn Jahren gab es ein Resinmodell von Premium X, einem Ableger von IXO, unsere Vorstellung sieht man hier. Daneben hat HPI ein Resinmodell gefertigt, das natürlich kaum zu finden ist und sich preislich und qualitativ auf höherem Niveau bewegte. Und jetzt also Top Marques, ebenfalls aus Resin, feiner und hochpreisiger. Sowohl die Grundform als auch die scharfen Konturen des Bertone-Keils sind sehr gut wiedergegeben. Viele feine Details wurden nachgebildet, von den Gittern an der Front und am Heck über die eingesetzten Scheiben, die prägnante, dreieckige Motorhaube, die Trittfläche mit dem Lancia-Logo an der Front, aber auch das Getriebegehäuse und die dicken Auspuffendrohre, die unter dem Heck hervorschauen. Der vorbildgerecht schwarze Innenraum ist ziemlich simpel reproduziert, Sitze, Lenksäule, Schaltknüppel und der links vom Fahrer angeordnete Instrumentenblock sind vorhanden, allerdings fehlen im Fußraum die Pedale. Und etwas Kritik verdienen die zu dicken Linien auf den Seitenfenstern und die an sich guten Räder, denen es aber vor allem hinten an deutlicheren Lüftungsschlitzen fehlt. Bei unserem Fotomuster kam noch ein Verarbeitungsfehler am Frontgitter dazu, wie man auf den Fotos sieht, wölbte es sich an einer Stelle auf. Diesen Mangel konnte ich allerdings mit Fingerspitzengefühl und gutem Klebstoff lösen. Dennoch sollte so etwas nicht passieren, ansonsten ist das Modell aber sauber verarbeitet. Auch die Lackierung und die feinen Logos und der Stratos-Schriftzug am Heck sehen gut aus. Die Goodyear-Reifenbeschriftung ist übrigens auf zeitgenössischen Fotos vom Turiner Salon zu sehen.
Für um die 90 Euro bekommt man ein recht feines Modell dieser Designikone aus der Feder von Marcello Gandini, bis auf die kleinen Abstriche denke ich, dass Top Marques seine Sache gut gemacht hat. Die auf je 500 Stück limitierte Auflage dürfte sich flott verkaufen, egal ob in rotbraun metallic oder silber.
Unser Fotomuster kommt von Supercars in München, vielen Dank für die Unterstützung.
Fotos und Text: Rudi Seidel