Freitag, 15. Dezember 2017

Das Monster aus Turin - Fiat S76 von AutoCult, 1:43

Über ein Auto zu berichten, dass bereits über 100 Jahre alt ist, stellt den Redakteur vor nahezu unlösbare Aufgaben. Wir haben dennoch versucht, die Fakten zu diesem Ungetüm aus Turin zusammenzusuchen und abzugleichen und präsentieren das beeindruckende Modell von Autocult.

Fakt ist, dass in der Pionierzeit des Automobilbaus das Erreichen einer absoluten Höchstgeschwindigkeit den Ehrgeiz der Konstrukteure anstachelte. Die Messmethoden und Regularien für solche Rekordfahrten waren allerdings im stetigen Wandel und oftmals sehr unsicher. Immerhin schaffte der Amerikaner Barney Oldfield 1910 mit dem berühmten 200 PS-Blitzen Benz in Daytona Beach einen offiziellen Rekord mit 211,988 km/h, wenn man die damaligen Fahrwerke, Reifen und Streckenverhältnisse in Betracht zieht, sicherlich ein Himmelfahrtskommando. Im April 1911 erhöhte Bob Burman den Rekord auf 228,1 km/h. Fiat in Italien wollte etwas dagegensetzen, viel Hubraum wurde durch noch mehr Hubraum ersetzt, statt 21,5 Liter hatte das Fiat-Triebwerk, das wohl ursprünglich als Antrieb für Luftschiffe diente, 28,4 Liter Hubraum aus vier Zylindern. Bei 190 mm Bohrung und 250 mm Hub waren vier Ventile und drei Kerzen pro Zylinder notwendig, um das Gemisch einigermaßen kontrolliert zu verbrennen. Bei einer Drehzahl von grandiosen 1900 1/min lagen 290 PS an. Um das Ungetüm zu erwecken, wurde eigens ein Pressluftstarter konstruiert. Wenn man sich dann vorstellt, dass die 1650 kg mit zwei Starrachsen von rund 1,30 m Spurweite und einem sicherlich nicht optimalen Schwerpunkt zusammen mit den dünnen Speichenrädern mit ebensolchen Reifen auf der Strecke gehalten werden mussten, kommt einem wahrscheinlich der Angstschweiß. Erste Versuche endeten erfolglos, in Brooklands und Saltburn Sands kam der S76 genannte Fiat 1911 mit dem Italiener Pietro Bordino nur auf rund 200 km/h. Zwei Jahre später versuchte sich der Franzose Arthur Duray am Strand von Ostende und erreichte 225 km/h, der Rekord wurde aber aufgrund fragwürdiger Zeitmessung nicht anerkannt. Schon 1912 schaffte der S76 in Long Island angeblich 290 km/h, aber das gehört eher ins Reich der Fabel . . .

Ein Beispiel für die Fehlerhaftigkeit der Angaben zeigen auch die Quellen, die dem S76 bei einem Radstand von 2750 mm eine Gesamtlänge von 3750 mm zuschreiben. Dann dürften die Karosserie bzw. der Rahmen kaum über die großen Räder herausragen.

Über einen Weltrekord durfte sich Fiat dann aber noch 1924 freuen, der Engländer Ernest Eldridge schaffte mit einem Eigenbau, der aus einem Vorkriegsrenner in Verbindung mit einem Flugzeugtriebwerk kurzzeitig der schnellste Mann im Auto war. Das Werk selbst hatte sich aber schon längst aus der Rekordjagd verabschiedet und gab 1927 auch den Grand-Prix-Sport auf, nachdem Bordino den großen Preis von Mailand gewann.

Vor fast 15 Jahren gelang dem Engländer Duncan Pittaway, in Russland ein S76-Chassis und an anderer Stelle Überreste des Triebwerks aufzutreiben, er geht auch von der Existenz zwei dieser Ungetüme aus. In über zehn Jahren geduldiger Arbeit schaffte es sein Team, den S76 wieder zu komplettieren und zum Laufen zu bringen. Jetzt bereichert das Ungetüm ausgesuchte Klassikveranstaltungen wie Goodwood oder Schloss Dyck, wo ihn unser Fotograf live erleben durfte, ein bleibender Eindruck, den man jetzt durch das Modell von Autocult in der Vitrine fixieren kann.

Das Team von Thomas Roschmann hat den S76 so reproduziert, wie er aktuell aussieht, es gibt Originalfotos, die den Fiat mit einer ofenrohrgleichen Auspuffanlage zeigen, andere Aufnahmen deuten auf einen lackierten, nicht messingfarbigen Kühler hin, wobei die andersfarbige Variante besser aussieht und mit Sicherheit vorbildgetreu ist. Vom Modell sind wir wirklich begeistert, die Grundform und die Proportionen stimmen, aber vor allem die wunderbaren Speichenräder, die Schalt- und Bremshebel, die Antriebsketten links und rechts, sowie das originalgetreu primitive Cockpit mit dem feinen Lenkrad und den gesteppten Ledersitzen machen große Freude. Fehlen nur noch das infernalische Geräusch und die Flammen aus den Auspuffstutzen, aber Modelle mit Geräuschbausteinen und aähnlichem gibt es eher bei den Modelleisenbahnern.

Wenn auch das ganz alte Eisen nicht zu unseren bevorzugten Themen gehört, hat der Fiat S76 ohne Umwege in unsere Vitrinen gefunden, wo er ein Musterbeispiel für die archaische Technik der Frühgeschichte des Automobils darstellt.

Fotos: Georg Hämel, Text: Rudi Seidel

Georg Hämels Fotomuster stammt von www.colognemodelcars.com. Wir danken für die Unterstützung

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