Sonntag, 11. September 2016

Sir Henrys Schlachtschiff - Bentley Blower No. 1 von Neo Scale Models, 1:43

Sir Henry Birkin, allgemein besser bekannt unter seinem Spitznamen "Tim", entstammte einer reichen Familie aus Nottingham. Schon in jungen Jahren faszinierten ihn Automobile und er interessierte sich besonders für die Konstruktion und Technik. Im Familiensitz in Ruddington Grange ging er eine Wette ein, dass es ihm nicht gelingen würde, selber ein Automobil zu konstruieren, das eine Dreitviertelmeile aus eigener Kraft fahren könne. Birkin gewann, von den £15 aus der Wette kaufte er sich sein erstes eigenes Auto.

Wie vielen jungen Männern aus seiner Generation, die aus dem Horror des ersten Weltkrieges heimkehren konnten, erschien auch Tim Birkin sein Alltagsleben in einem Bürojob nach den überstandenen Gräueln unerträglich öde. Er begann, Rennen zu fahren. Meist war er auf dem mörderischen Hochgeschwindigkeitskurs in Brooklands zu finden, wo er sich mit seinem Mut schnell einen Namen machte. Doch familiärer Druck zwang ihn, sich wieder aus dem Sport zurückzuziehen - bis 1927, als er mit einem Bentley bei einem Sechs-Stunden-Rennen teilnahm. Als 1928 sich mit einem stärkeren Modell erste Erfolge einstellten, beschloß er, sich ganz dem Motorsport zu widmen. Er wurde ein Teil der legendären "Bentley Boys" mit beachtlichen Erfolgen in Le Mans. Im Jahre 1929 errang er seinen ersten Gesamtsieg bei den 24 Stunden in einem Bentley Speed Six. Doch Birkin war mit W.O. Bentleys Konstruktions-Philosophie unzufrieden. Für Bentley war Hubraum entscheidend, wenn ein Auto stärker werden sollte, dann musste es eben einen größeren Motor bekommen. Aufladung durch einen Kompressor, wie es z.B. Mercedes seinerzeit erfolgreich durchführte, widersprach Bentleys Prinzipien.

Die immer größeren Bentley-Rennwagen erschienen Birkin hingegen als ein Irrtum. Mehr Kraft in einem leichteren Auto war seine Lösung und so konstruierte er auf eigene Faust mit Unterstützung von Bentley-Ingenieur Clive Gallop und dem Kompressoren-Hersteller Amherst Villiers einen Kompressor-Bentley auf Basis des 4 1/2-Liter Modelles. Als seine eigenen finanziellen Mittel aufgebraucht waren, sprang die reiche Rennstallbesitzerin Dorothy Paget als Unterstützerin ein und ermöglichte das Entstehen von Bentley Blower No.1, dem Weymann mit einer Stoffkarosserie über einem Aluminiumrahmen versah. So präsentierte Birkin seine Schöpfung 1929 auf der British International Motor Show in London. Seinen ersten Renneinsatz hatte No.1 bei einem 6-Stunden-Rennen in Brooklands 1929. Während des Rennens brach der Auspuff, wodurch sich die Stoffkarosserie entzündete. Birkin löschte den Brand und fuhr weiter, was dem Wagen den Spitznamen "Schlachtschiff von Brooklands" einbrachte. Nach dem Rennen wurde der Wagen mit einer neuen Aluminiumkarosserie von Reid Railton versehen und in Rot lackiert, den Rennfarben des Stalles von Dorothy Paget.

W.O. Bentleys Bedenken hatten sich allerdings bestätigt. Der "Blower" war unzuverlässig und verbrauchte Unmengen an Sprit, doch Birkin hielt an dem Konzept fest. Mit Unterstützung von Bentley-Teilhaber Woolf Barnato konnte Birkin dennoch die Produktion von 50 Blower Bentleys durchsetzen, diese Zahl wurde benötigt, um mit dem Wagen in Le Mans startberechtigt zu sein. Neben diesen 50 Exemplaren baute Birkin noch drei Rennwagen für Le Mans und ein weiteres Fahrzeug aus Ersatzteilen - inklusive No.1 entstanden also 55 Bentley Blower, die heute zu den wertvollsten Sportwagen überhaupt zählen - und das, obwohl sich der Blower letztendlich als nicht so erfolgreich erwies, wie es sein Schöpfer wünschte. Die Zuverlässigkeit war weiterhin problematisch, doch immerhin hatte Birkin mit dem Blower den Mercedes SSK von Caracciola in Le Mans 1930 dank der enormen Leistung so lange jagen können, bis der Mercedes mit Motorschaden aufgeben musste. Ein Rennen gewinnen konnte allerdings keiner der Blower Bentley.

1930 beendete Bentley die Motorsportaktivitäten, 1931 kaufte Rolls-Royce das Unternehmen. Auch Birkins Team schloss seine Tore, nachdem Dorothy Paget ihre finanzielle Unterstützung einstellte. Sie war allerdings bereit, Birkins Einsätze von Blower No.1 weiter zu fördern, so dass er an den Wettbewerben um die "Daily Herald Trophy" in Brooklands teilnehmen konnte, für die jene Zeitung einen Preis für die schnellste Höchstgeschwindigkeit ausgeschrieben hatte. Im ersten Jahr musste Birkin sich knapp geschlagen gebem, doch 1932 holte er sich die Trophäe mit 222,03 km/h, ein Rekord, den zwei Jahre lang niemand schlagen sollte. Trotz aller Rückschläge fuhr Birkin weiter Rennen. 1931 gewann er zum zweiten Mal in Le Mans, dieses Mal in einem Alfa Romeo. Im Mai 1933 startete er in einem neuen Maserati im Grand Prix von Tripolis und belegte einen herausragenden dritten Platz. Während eines Boxenstopps hatte sich Birkin allerdings eine schwere Brandwunde am Arm zugezogen. Vermutlich löste diese Wunde eine Blutvergiftung aus, möglicherweise war es aber auch eine Folge seiner Malaria, die er aus dem Ersten Weltkrieg mitgebracht hatte, die letztlich zu seinem Tod am 22. Juni 1933 im Alter von 36 Jahren führte. Er starb völlig verarmt in einem Krankenhaus in London. Das tragische Ende eines Mannes, den W.O. Bentley, trotz aller Differenzen, als einen der "größten Briten" bezeichnete.

Birkins Blower No.1 hat Neo Scale Models nun als 1:43-Miniatur in den Handel gebracht. Für knapp 90 EUR sicherlich kein günstiges Modell, aber zumindestens aus meiner Sicht ein gelungenes. Das Modell zeichnet die Monoposto-Version des Blower nach, mit der Birkin 1932 in Brooklands seinen Rekord aufstellte. Die zweckmäßige Karosserie im typischen Stil von Railton trifft man im Vergleich zu Originalbildern recht gut, wenn sie auch etwas breit ausfällt. Viele Elemente im Fahrwerksbereich sind sehr filigran ausgeführt, auch die feinen Räder erscheinen gut proportioniert und gelungen. Vorne ragt der namensgebende Kompessor aus der Kühlöffnung, der schön detailliert wurde. Nur die Schläuche an der Front sind vielleicht eine Spur zu dick.

Das spartanische Cockpit wird korrekt verkleinert, schön sind die winzigen Halterungen und Griffe aus geätzem Material an der Motorhaube, wie auch die winzigen Schraubennachbildungen ringsum. Der Blower von Neo ist sicher nicht perfekt, er ist ein bisschen breit geraten, aber insgesamt trifft er die brutale Wirkung dieses "Schlachtschiffes" schon ganz gut. Ich kann mir angesichts dieses Ungetüms jedenfalls recht gut vorstellen, wie die Konkurrenz in den filigranen Bugatti oder Alfa geschaut haben muss, wenn Birkin mit seiner Kreation zum Rennen antrat.

Text und Fotos: Georg Hämel

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