Mittwoch, 29. Juni 2016

Das Riesending - Rolls Royce Phantom VI Cabriolet Frua von NEO Scale Models, 1:43

Sicherlich eines der imposantesten und wahrscheinlich sogar das größte zweitürige Cabrio hat NEO als Vorbild für ein ebenfalls beeindruckendes Modell genommen. Wir wollen sehen, ob man gute Arbeit geleistet hat und die Historie des Fahrzeugs verfolgen. Dankenswerterweise dürfen wir dazu Teile des auf Zwischengas veröffentlichten Artikels des Frua-Spezialisten Stefan Dierkes zitieren, den vollständigen Artikel können Sie auf dieser höchst empfehlenswerten Website lesen.

Ende September 2015 kam bei Bonhams der 1973 fertiggestellte Rolls-Royce Phantom VI Frua Cabriolet zur Versteigerung. Doch nicht nur die Gesamtlänge von 6,57 Metern und der Radstand von 3,68 Metern sind imposant, sondern auch die Schwierigkeiten bei seinem über 2 Jahre dauernden Bau.

Der von 1968 bis 1991 in nur geringer Stückzahl von 374 gebaute Rolls-Royce Phantom VI wurde wie seine Vorgängermodelle nur für Staatsoberhäupter und Königshäuser gebaut. Auf seinem klassischen Kastenrahmen entstanden 355 von Mulliner Park Ward karossierte 7- oder 9-plätzige Staatslimousinen, ausserdem 11 Landaulets mit zurückschlagbarem Verdeck über dem Passagierabteil. Sechs Chassis wurden von verschiedenen Karosseriebauern zu Bestattungswagen karossiert, zwei wurden an Pietro Frua geliefert, der sie mit Cabriolet-Aufbauten für Privatkunden versah.

Einer davon war der Schweizer Simon van Kempen, der es als Hauptaktionär des Maschinenbaukonzerns Traub AG zu Wohlstand gebracht hatte und als Honorarkonsul des Fürstentums Monaco in dessen Botschaft in Stuttgart tätig war. Er besaß bereits eine Reihe Rolls-Royce und sein 1962er Bentley S2 Continental Park Ward Drophead Coupé war ihm zu klein geworden. So kontaktierte er seinen Züricher Rolls-Royce-Händler Schmohl AG mit dem Wunsch nach etwas Größerem. Den Kontakt zu Frua stellte der Schweizer Rolls-Royce-Distributor A. Lenton von der Garage de l´Athénée in Genf her. Pietro Frua hatte sich nach dem Höhepunkt seines Erfolges mit Serienfahrzeugen für Glas und Maserati in den 1960er-Jahren auf den Bau von Prototypen und Einzelstücken im Kundenauftrag zurückgezogen. Für van Kempen zeichnete er zwei Entwürfe in Form von Seitenansichten im Maßstab 1:10. Während der Entwurf 869 eine Silhouette mit gerader Seitenlinie und abgerundeten Überhängen im Stile des Rolls-Royce Silver Shadow zeigte, war der von Simon van Kempen schließlich favorisierte Entwurf 870 durch ein moderneres Kantendesign mit einem leichten Hüftschwung über der Hinterachse versehen.

Vier Wochen später besuchte Monsieur Lenton mit Fruas Plänen Rolls-Royce und Mulliner Park Ward in London, um sich nach den Möglichkeiten der Lieferung eines Phantom VI Chassis zu erkundigen. Rolls-Royce dürfte nach dem Konkurs am 4. Februar 1971 und seiner anschließenden Verstaatlichung über diesen Auftrag nicht ganz unerfreut gewesen sein und bestätigte das Ansinnen am 6. Mai 1971 mit einem entsprechenden Angebot zum Preis von 5.830 GBP. Die Lieferung des Chassis mit der Nummer PRX 4705 erfolgte am 25. November 1971 an Pietro Fruas Studio in Moncalieri bei Turin. Erst am 14. April 1972 fertigte Frua die 1:1 Konstruktionszeichnung für das Rolls-Royce Cabrio an. Es folgte der Bau des Holzmodells, das als Grundlage für das Klopfen der Karosseriebleche nach traditioneller Methode diente. Frua hatte es sich - wie bei seinen Kreationen üblich - zum Ziel gesetzt, möglichst viele Teile vom Hersteller zu verwenden. Da er jedoch außer seiner Muttersprache nur Französisch, aber kein Englisch sprach, fungierte zunehmend A. Lenton als Übersetzer und Projektkoordinator. Zu den Schwierigkeiten trug sicher auch bei, dass Rolls-Royce wenig mitdachte und präzise nur das lieferte, was bestellt wurde. So wurde zum Beispiel wie bestellt nur ein Scheibenwischer statt der erforderlichen zwei geliefert. Da bisher fast alle Phantom VI bei Mulliner Park Ward karossiert wurden, fehlten auch viele Kleinteile wie zum Beispiel die Karosseriebefestigungen. Der elektrische Schaltplan und die Dokumentation der Verkabelung existierten nur für die Limousinen und wurden nicht mit dem Chassis mitgeliefert. Von Anfang Juli 1972 bis Ende August 1972 beschäftigt sich eine umfangreiche Korrespondenz, wie damals üblich per Telex, unter anderem mit der fehlenden Dokumentation und der mitgelieferten zweiteiligen Klimaanlage, für deren Modifikation für den ungeteilten Cabrio-Innenraum schließlich die Rolls-Royce-Ingenieure eine Anleitung lieferten. Außerdem bestellte Frua für die kalten Schweizer Winter eine zweite Heizungsanlage. Im Juli 1972 reiste Frua nach England, um sich dort die elektrische Sitzverstellung und Fensterheber und die verschiedenen Schlösser der Zentralverriegelung zeigen zu lassen. Letztere verwendete Frua schließlich von Mercedes-Benz.

Als Simon van Kempen schließlich das auf das Chassis montierte fertige Holzmodell zum ersten Mal sah, missfiel ihm die von der Stoßstange geteilte Kühlermaske. Außerdem wünschte er den Aufbau zwecks besserer Übersichtlichkeit tiefer gesetzt und die Motorhaube und Kotflügel entsprechend stärker abfallend. Diese Änderung führte zu dem Folgeproblem, dass die Bodenfreiheit zu gering geriet. Frua erhöhte den Abstand zum Chassis und verringerte den dadurch zu groß gewordenen Abstand der Radhäuser zu den Rädern mit Zierleisten an den Radläufen, um nicht das komplette Holzmodell ändern zu müssen. Die Doppelscheinwerfer mit der rechteckigen Glasabdeckung verwendete er vom Fiat 130 und die Rückleuchten vom Citroën SM. Das automatische Verdeck verschwand komplett unter einer integrierten Persenning.

Die ursprünglich für September/Oktober 1972 geplante Fertigstellung verzögert sich schließlich um ein ganzes Jahr und erst am 5. September 1973 konnte der von Rolls-Royce beauftragte Inspektor in Moncalieri dem
Wagen die für die Ausstellung der Chassis-Garantie obligatorische Werksabnahme erteilen. Am 13. September 1973 zeigte Frua den fertigen Wagen auf der 45. Internationen Automobilausstellung Frankfurt am Main. Die Presse reagierte auf das 288'000 Franken teure Cabrio mit irritierter Faszination. Roger Gloor schrieb in der Automobil Revue vom 20. September 1973: „Von Frua ist ein nicht in erster Linie elegantes, dafür aber um so mehr imposantes Cabriolet auf der Basis des Rolls-Royce Phantom zu sehen.“

Auftraggeber Simon van Kempen sollte den Wagen über 23 Jahre behalten. In dieser Zeit modifizierte er ihn mehrfach. Die ursprüngliche Farbkombination hatte seine Frau ausgesucht: Lackierung in der Maserati-Ghibli-Farbe Juwelgrün metallic (ital. Verde Gemma) mit hellgrünem Conolly-Leder (vier Häute!) und schwarzem Verdeck. 1980 ließ Konsul van Kempen den Wagen in Bordeauxrot umspritzen und mit einer hellbraunen Lederausstattung versehen. Statt des ursprünglichen 6,3-Liter-V8-Motors mit 178 PS kam die neue 6,75-Liter-Version mit 200 PS zum Einsatz. Malte Jürgens bescheinigte dem 3-Tonner im Magazin Motor
Klassik im Juli 2008 behäbige Fahrleistungen. Für 180 km/h auf der Autobahn sollen sie jedoch reichen.

Später ließ van Kempen die Lackierung wieder auf das ursprüngliche Hellgrün metallic ändern. Diesmal mit cremeweißer Lederausstattung im Innenraum und ebensolchem Verdeck. Insgesamt legte er mit PRX 4705 über 400.000 Kilometer auf den Straßen Europas zurück.

Im Mai 1997 handelte schließlich der Schweizer Rolls-Royce-Sammler Walter Steinemann aus Mörschwil dem Erstbesitzer das Unikat ab, als es schon im Katalog der Christie´s Auktion in Genf abgebildet war. Er zeigte den Wagen im April 2007 außer Konkurrenz an der Villa d´Este.

Nachdem der Wagen 2008 von verschiedenen Händlern auf Oldtimer-Messen in Deutschland zum Verkauf angeboten wurde, erwarb ihn schließlich der dänische Sammler Henrik Frederiksen. Mit seiner Kollektion wurde der Wagen nun am 26. September 2015 von Bonhams mit einem moderaten Schätzpreis von Euro 270'000 bis 350'000 im Herrenhaus Lyngsbækgård in Ebeltoft (Dänemark) angeboten. Die Bieter waren deutlich spendabler als erwartet, der Wagen wurde um 16:45 für Euro 493'317 oder CHF 538'801 verkauft. Ob wohl die Aussage des Auktionators, dass im Kofferraum viele Golfausrüstungen Plätz hätten, den Unterschied machte?

Das NEO-Modell wirkt auf den ersten Blick imposant und sehr fein detailliert. Die Fertigungsqualität ist sehr gut, die Lackierung sehr fein, wenn auch der Farbton des metallicgrün im Vergleich zum Original zu blass ist. Zierleisten, Chromteile, Scheinwerfer und Rückleuchten, alles ist auf hohem Niveau, wie auch die schöne Innenausstattung und die Räder mit ihren fetten Weisswandreifen. Also ist alles bestens? Leider nein, neben der nicht ganz getroffenen Farbe gibt es noch mehr Kritikpunkte: Die Seitenlinie ist im Vergleich zu Fotos mit einem etwas übertriebenen Hüftschwung versehen, die eigentlich filigrane Windschutzscheibe ist zu hoch und zu steil, die Rücksitzbank und die Persenning entsprechen den Vorbildfotos nicht ganz. Das beim Modell verwendete Kennzeichen findet man auf keinem Originalfoto. Also einiges an Phantasie, das die Entwickler von NEO bei der Reproduktion dieses riesigen Cabrios investierten. Eigentlich schade, es existieren genügend Fotos und Dokumentationen und richtig machen kostet auch nicht mehr.

Es bleibt der unangenehme Beigeschmack, dass man ein attraktives Modell kauft, das aber dem Original in einigen Punkten nicht entspricht. Aber irgendwie schön ist es schon!

Fotos: Rudi Seidel, Text: Rudi Seidel, für die Geschichte des Originals wurden, wie gesagt, Auszüge aus einem Artikel von Stefan Dierkes verwendet. Auf seiner Website pietro-frua.de findet man genaue Informationen und Daten zu diesem Rolls Royce und allen anderen Kreationen des Meisterdesigners.

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