Sonntag, 21. Oktober 2012

Edler Dinosaurier: Rolls Royce Phantom VI in 1:18

Was im Jahre 1968 auf den britischen Inseln aus seinem Ei schlüpfte war bereits damals ein blaublütiger Dinosaurier, der sich mit seinen 5 Vorgängergenerationen in der fahrzeugtechnischen Evolution längst überlebt hatte und somit zum Aussterben verurteilt war, ein automobiler Anachronismus, eine echte „Limousine“, ein rollendes Feudalschloss mit Trennwand zwischen dem Arbeitsplatz des Chauffeurs und dem Salon der Herrschaft, deren hochherrschaftliche Hintern niemals hinter dem Steuer Platz genommen hätten, in einer Welt von sportlich vom Besitzer gefahrenen schnittigen „Saloon-Cars“. Nur in der alten Welt, im Jurassic Park Old England, konnte dieser Wagen noch seinen Lebensraum finden und musste in der neuen Nachkriegswelt beidseits des Atlantik bereits damals antiquiert deplatziert wirken wie Stings Englishman in New York.

Weit eher auf der Höhe der Zeit erblickte im selben Jahr auch die dagegen moderne Jaguar XJ-Baureihe als jüngster Wurf in William Lyons Großkatzenfamilie das Licht der Welt, während der moderne E-Type, auf den sogar Enzo Ferrari neidisch war, nach sieben Jahren in die zweite Generation ging. Die jüngste Baureihe des Phantom sah sogar gegen den um drei Jahre älteren Silver Shadow aus dem eigenen Hause alt aus. Ganz zu schweigen davon, dass die von Mulliner Park Ward handgefertigte Karosserie noch getrennt von Chassis war und Blattfedern für den Fahrkomfort sorgen mussten, während auf dem Kontinent bereits seit mehr als einem Jahrzehnt die avantgardistische Göttin von Citroen pneumatisch und mit adaptivem Kurvenlicht dahinschwebte wie ein Raumgleiter. Immerhin wurden die moderneren Motoren des Silberschattens und irgendwann auch dessen Schaltung übernommen. Dass Rolls Royce die Leistung des Phantom VI nach Art des Hauses nur mit „adäquat“ angab, aber die Staatskutsche, die seit 1977 als Geschenk zum silbernen Thronjubiläum Elisabeths mit geringen Veränderungen bis zum goldenen Thronjubiläum 2002 Vorgänger ihrer gegenwärtigen Bentley-Staatslimousine war, nur als Zwei(hundert)-Spänner betrieben wurde, kommt uns nach heutigen Maßstäben reichlich untermotorisiert vor, passt aber völlig zum Charakter des Majestätsmobils: „A gentleman will walk but never run“.

Doch Totgesagte leben ja bekanntlich länger. Und so überlebte der Phantom VI in den über 20 Jahren seiner Bauzeit von 1968 bis 1991 nicht nur den Silver Shadow und die erste Generation des Silver Spirit/Silver Spur, deren Antriebstechnik er jeweils bekam, sondern auch die gesamte Ära der Jaguar-XJ-Serien I bis III. In diesen beiden Dekaden wurden allerdings nur 374 Exemplare gebaut. Man könnte behaupten, dass das alt-ehrwürdige und seltene Fossil der unmittelbare Vorgänger des aktuellen Phantom ist. Angemessener ist jedoch sicher der Wikipedia-Eintrag, dass der Phantom VI der letzte seiner Art war.

Unser Modell kann nicht eines der allerersten Exemplare sein, bei denen die Fond-Türen noch zunächst wie beim Phantom V hinten angeschlagen waren. Das vorliegende Modell erfüllt die damals neuen Sicherheitsbestimmungen und hat die Türen vorn angeschlagen. Die Staatskarosse erstreckt sich auf recht maßstabsgetreue und majestätische 33,5 cm Länge, 11,4 cm Breite und 9,6 cm Höhe und bildet die Karosserieform Originals sehr schön nach. Der schwarze hochglänzende Lack ist glatt und ohne Einschlüsse aufgetragen, zeigt aber schon aus dem Karton an exponierten Stellen der Karosserie einige wenige winzige Schrammen. Filigrane Chromleistennachbildungen aus Plastik ziehen sich beidseitig vom Kühlergrill an der Motorhaube und unterhalb der Seitenfenster bis in die Mitte der rolls-royce-typisch dicken C-Säule, könnten aber sauberer befestigt sein. Auf diese Leiste aufgesetzt sind korrekt geformte Türgriffe, die sich ebenfalls leicht lösen. Auch unterhalb der Türen am Rahmen zwischen den Vorder- und Hinterrädern setzt eine ähnliche Leiste edle Chrom-Akzente, ebenso wie die Chromumrandung der Fenster, die auch dort erstaunlich gute Spaltmaße einhalten, wo zwei dieser Chromfensterrahmen aneinander stoßen. Überhaupt sind die Spaltmaße rundum vorbildlich. Auch die Räder mit dem eingestanzten Doppel-RR sind sehr gut gelungen.

Auch mit den chromumrandeten Rückleuchten kann man sehr zufrieden sein. Sie haben die korrekte Form und sind farblich sauber geteilt. Zusätzlich gibt es unterhalb der Chromstoßstange neben dem Override-Schutz zwei Nebelleuchten. In die Stoßstange mittig eingelassen ist erneut das doppelte Marken-R und links außen erkennt man das Endrohr der Abgasanlage. Der Kofferraum selbst ist innen beflockt und unter der Abdeckung findet man ein Ersatzrad und Werkzeug für einen Radwechsel. Durch die sauber abschließende Heckscheibe erkennt man auf der Ablage hinter der hohen Rückenlehne die Nachbildung von Lautsprechern. Auf der rechten Fahrzeugseite lässt sich die Tankklappe öffnen und gibt den Blick auf den Tankstutzen frei, den der Chauffeur angesichts der 27 Liter Verbrauch sicher häufig zu sehen bekam. Auf der Vorderseite des Rolls Royce findet sich der ikonische Kühlergrill, der zwischen den Chromstäben zum Motorraum hin durchbrochen ist. Die Spirit-of-Ecstasy-Figur oberhalb der Rolls-Royce-Markenzeichens am Kühlergrill-Kopf ist sehr schön nachgebildet, liegt aber neben einer Ersatz-Emily wie die Außenspiegel extra verpackt bei und muss vom glücklichen Besitzer selbst installiert werden. Prinzip, Teile und Verpackung kommen dem Rolls-Royce-Modellsammler vom Paragon-Rolls-Royce her verdächtig bekannt vor. Die Doppelscheinwerfer im Chromgehäuse haben ein strukturiertes Glas und vermitteln bis zur Nachbildung des Leuchtmittels ebenso gut eine glaubwürdige Tiefe wie die über den Chromstoßfängern angebrachten Nebelscheinwerfer darunter vor den ebenfalls durchbrochenen waagerecht länglichen Lüftungsschlitzen. Besonders gelungen sind die farblich geteilten Blinkergläser mit feiner Chromfassung.

Zugang zum Motor erhält man, wie es bei Vorkriegs-Autos üblich war, indem man einen der beiden Haubenflügel an dem Scharnier, das sich der Fahrzeuglänge nach von der Kühlerfigur zur Windschutzscheibe erstreckt, zur Mitte hin nach oben klappt. Die traditionelle Chromapplikation auf der bis heute ähnlich geformten Motorhaube aller Rolls Royce ist neben anderen traditionellen Designmerkmalen der Marke eine Verneigung vor dieser antiquierten Funktion. Unter der Haube findet man das sehr schön originalgetreu gestaltete Aggregat, das auch schon im Vorgänger seinen Dienst tat.

Der Arbeitsplatz des Chauffeurs, der höchst angemessen hinter einem rechts angebrachten, wunderschön nachgebildeten Bakelit-Holz-Lenkrad befindet, entspricht dem Vorbild ebenfalls vollkommen: Hatte die fünfte Generation die Instrumente noch in der Mitte, sind sie beim Modell nun direkt hinter dem Lenkrad in das sehr schön nachgebildete Wurzelholz, das dem Begriff Armaturen-Brett gerecht wird, eingelassen und das Handschuhfach rechts hinter dem Lenkrad entfällt, während es auf der Beifahrerseite verbleibt. Auch die Chromschalter und runden Lufteinlässen sind sehr schön nachempfunden. Nur das Radio für den Fahrer unter dem Armaturenbrett in der Mitte hat man vergessen und James muss sich selbst ein Liedchen pfeifen – oder besser nicht, denn die Glastrennscheibe ist als halb heruntergelassen dargestellt, so dass seine Lordschaft im Fond gestört würde.
Dort findet man an den Fenstern dieselben Wurzelholzsimse mit Chromgriffen wie vorn und das herrschaftliche Sofa hat dieselbe Textur wie auf dem Chauffeursplatz, obwohl im Original nur die Sitzbank des Fahrers mit strapazierfähigem, aber eben auch kühlem Leder bespannt war, während es für die Herrschaft lieber kuscheliges Plüsch sein durfte. Dafür ist aber ein hochfloriger Teppich als Erhebung des beflockten Bodens angedeutet und Fußablagen sorgen für Komfort. Bleiben die Notsitze an der Trennwand eingeklappt, bietet der Fond auch so viel Platz, dass man mit seiner Schrankwand einziehen möchte. Genau diese Art von Wohnlichkeit wurde in dieser Version des Modells umgesetzt. In einem Wurzelholzschrank in der Mitte der Trennwand befindet sich hinter den oberen zu öffnenden Flügeltüren ein Fernsehgerät und in einem Schubfach darunter die Minibar mit Sherry-Gläsern und Fläschchen bzw. Karaffen. Im hölzernen Fenstersims unter den Fenstern hinter den Türen befinden sich Chromschalter für die elektrischen Fensterheber und die Trennwand.

Sicher ist dem aufmerksamen Leser längst aufgefallen, dass ich noch mit keinem Wort erwähnt habe, wer dieses Modell eigentlich herstellt. Der einfache Grund ist, dass ich diese sehr gute Frage nicht beantworten kann: Weder auf der Verpackung, noch auf dem beiliegenden Zertifikat oder der Unterseite des Modells findet sich der leiseste Hinweis auf den Hersteller, nur eine Plakette mit der Nummer des auf 999 limitierten Modells. Da der Phantom VI im Original den Abmessungen des von Paragon angekündigten Phantom V absolut gleicht und sogar (zunächst) den selben Motor hatte und wir außerdem die beiliegenden Kühlerfiguren und Spiegel samt Verpackung ebenfalls von Paragon kennen, beschleicht uns das Gefühl, dass der Hersteller dieses Modells seinen Namen mit dem gutem Grund eines schlechten Gewissens verschweigt. Genauer weiß man das erst, wenn Paragon seinen Phantom präsentiert. Andererseits gibt es wichtige Unterschiede zu dem Rohling, den Paragon auf der Spielwarenmesse gezeigt hat, Unterschiede, die den Phantom VI deutlich vom Vorgänger unterscheiden: Zum einen die vorn angeschlagenen Fondtüren, zum andern das anders gestaltete Armaturenbrett.

Auf vielleicht nicht ganz eigenständige Weise ist es also diesem unbekannten chinesischen Hersteller raffiniert gelungen, ein Modell auf die Räder zu stellen, das in der Automobilgeschichte eine bedeutendere Position einnimmt als der Phantom V, von dem er sich kaum unterscheidet. Als letzter Rolls Royce Phantom vor dem Verkauf der Marke an BMW und mit prominenten Eignern wie dem englischen Könighaus und, wenn man will, als Vorgänger des derzeitigen Phantom, jedenfalls aber als Meilenstein nimmt dieses Modell seinen würdigen, aber sicher seltener besetzten historischen Platz in der Rolls-Royce-Vitrine zwischen Paragon´s und Kyosho´s künftigen Phantomen ein.

Text & Fotos: Karsten Weiß

P.S.: Schade, dass Minichamps damals nicht meinem Vorschlag gefolgt ist, auf der Grundlage ihres ersten Bentley Arnage in einem ähnlichen Schachzug den nahezu baugleichen Rolls Royce Silver Seraph anzufertigen, sonst wäre dieselbe historische Lücke im Bereich des Baby-Rolls bereits geschlossen. Mit dem Bentley SII und Silver Cloud II machen die Aachener das geschickter. Na vielleicht jetzt, wo Rolls-Royce-Modelle boomen – bevor´s ein anderer tut.

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