
Mittwoch, 8. März 2023
Industriegeschichte auf zwei und vier Rädern - Die NSU-Story von Peter Schneider bei Motorbuch
Wenn es um Literatur zur Marke NSU geht, fällt natürlich der Name Peter Schneider, der bereits 1951 seinen Berufsweg in Neckarsulm startete. Beim legendären Pressechef Arthur Westrup lernte er, wie man eine Marke in der Öffentlichkeit präsentiert, fand aber bald eine Mammutaufgabe im Neuaufbau des historischen Archivs der Marke. Seine Karriere setzte sich mit der Neugestaltung des BMW-Museums in München sowie der Leitung des Porsche-Museums in Stuttgart fort. Aber, wie er selbst sagt, haben ihn die Neckarsulmer Wurzeln nie losgelassen. Sein historisches Wissen ermöglichte ihm, inzwischen eine ganze Menge von Büchern und Artikeln über die Marke NSU und ihre Produkte zu publizieren. Sein „Flaggschiff“ ist mit Sicherheit die NSU-Story, die soeben bei Motorbuch in einer überarbeiteten Fassung erschienen ist.
Auf über 400 Seiten findet der Leser sicherlich alles, was es über NSU zu berichten gibt. Von der Gründerzeit 1873 mit Strickmaschinen und Fahrrädern gab es interessanterweise bereits 1888 einen Ausflug zu Vierradfahrzeugen, da Daimler einen kompetenten Betrieb suchte, der das Fahrgestell für den Stahlradwagen produzieren konnte. Mit Motorrädern ging es weiter, bis man 1906 den ersten „Original Neckarsulmer Motorwagen“ vorstellte. Das letzte Jahrhundert verlief bis zum Zweiten Weltkrieg auf und ab, die Autoproduktion wurde 1929 beendet und das Heilbronner Werk an Fiat verkauft. Lediglich mit dem Bau des NSU-VW 32 Prototypen für Ferdinand Porsche entstand 1933 noch ein Auto in Neckarsulm. Ansonsten war man auf zwei Rädern sehr erfolgreich, sowohl im Sport als auch im Verkauf. Aber Motorräder sind ja bei uns nicht das Thema, deshalb will ich mich nicht weiter damit beschäftigen, obwohl der Autor natürlich eingehend und interessant darüber schreibt. Für Autoliebhaber geht es 1957 weiter, NSU hatte die Zeichen der Zeit erkannt und mit dem ersten Prinz einen brauchbaren Kleinwagen entwickelt, dazu kam bald der Sport-Prinz mit schicker Bertone-Karosserie. Stückzahlen und Erfolg erreichte NSU mit den optisch vom Chevrolet Corvair inspirierten Prinz 4, der vor allem in Italien gefragt war, sowie mit dem größeren Prinz 1000 und seinen sportlichen Varianten TT und TTS. Beim Typ 110 war das Ende der Fahnenstange erreicht, nur durch eine Verlängerung des Vorderwagens und etwas größerem Triebwerk wurde aus dem Prinz kein Mittelklassewagen, als den ihn der Autor bezeichnet. Parallel lief die Entwicklung des Kreiskolbenmotors, hier war NSU Pionier. Der Wankel Spider lief sozusagen als Versuchslabor in Kundenhand, mit dem Ro 80 gelang den Neckarsulmern ein Paukenschlag, dieses Fahrzeug war technisch und vom Design seiner Zeit voraus. Allerdings zerstörten Anfangsprobleme den Ruf und die gleichzeitige Entwicklung der Mittelklasselimousine K 70 zusammen mit den erforderlichen Garantieleistungen führten zu hohen Kosten, letztlich blieb 1969 nur die Fusion mit Audi und damit die Aufnahme in den VW-Konzern, um das Unternehmen zu retten. Der letzte PKW von NSU war 1975 ein Ro 80, der Markenname verschwand endgültig 1985 bei der Umfirmierung der Audi NSU Auto Union AG in die Audi AG.
Peter Schneider fasst die Geschichte der Marke in gut zu lesende Texte, dank seiner Zugriffsmöglichkeiten auf das Werks- sowie sein eigenes Archiv findet der Leser interessante Fotos und zeitgenössische Dokumente. Selbst für nicht Zweirad-affine Leser wie mich sind auch die Kapitel über Motorräder, Mopeds und Roller spannend, insgesamt bekommt man einen tollen Überblick. Auf den letzten 140 Seiten sind die technischen Daten und weitere Informationen über alle Produkte von NSU zusammengefasst. Zusätzlich gibt es noch Stückzahlen nach Baujahren und weitere statistische Daten. Eine gute Idee, diese Informationen nicht in den Text einzubauen, so ist der Lesefluss optimal. Auf ein Stichwortverzeichnis wurde verzichtet. Dass der Autor natürlich ein ausgesprochener NSU-Fan ist, spürt man an seiner durchwegs positiven Berichterstattung, in der kritische Töne meist ausbleiben, den Problemen mit der Wankel-Technik kann er natürlich nicht ganz aus dem Weg gehen.
Insgesamt ist dieses Werk sehr gut produziert, Texte, Layout, Bildwiedergabe und Druck genügen hohen Ansprüchen. Bis auf ein paar nicht besonders informative Bildtexte und Flüchtigkeitsfehler im Lektorat (Isle of Mans statt Isle of Man, Road & Treck statt Road & Track) kann man wirklich zufrieden sein. Inwieweit sich diese Ausgabe von der von 2012 unterscheidet, kann ich leider nicht beurteilen, da mir das ältere Buch nicht vorliegt. Wer sich speziell für NSU und allgemein für Industriegeschichte des letzten Jahrhunderts interessiert, ist auf jeden Fall mit Peter Schneiders Werk gut beraten.
„Die NSU-Story – Alle Autos und Motorräder aus Neckarsulm“ von Peter Schneider ist im Motorbuch Verlag erschienen, 416 Seiten, 720 Abbildungen, ISBN 978-3-613-04546-0, Preis in Deutschland 69,- Euro
Fotos: Rudi Seidel (© Motorbuch Verlag), Rezension: Rudi Seidel