Mittwoch, 20. April 2022
Interessante Geschichte - „Tanklaster des Wirtschaftswunders – So kam der Kraftstoff zum Kunden“ von Ulrich Biene bei Delius Klasing
Ulrich Biene ist dem Leser vor allem wegen seiner Bücher und Artikel über Modellautos von Wiking oder Siku ein Begriff, aber schon vor drei Jahren konnten wir ein hervorragendes Werk über die Geschichte von Leuna und Gasolin vorstellen. Mit dem gerade erschienenen Buch „Tanklaster des Wirtschaftswunders“ zieht der Autor weitere Kreise um das Thema.
Der Untertitel „So kam der Kraftstoff zum Kunden“ trifft den Inhalt besser, das ist kein Bildband über nostalgische LKWs, sondern der Versuch, die Historie des Transports und der Versorgung mit Energie zu beschreiben, von der Kohle über Heizöl, Tankstellenbenzin bis hin zur Betankung von Flugzeugen. Ulrich Biene hat wieder unglaublich viele und interessante Fotos, Dokumente und Illustrationen aus verschiedenen Archiven ausgegraben, so ist dieses Buch schon aufgrund des Bildmaterials sein Geld wert. Aber auch die Geschichten, die er zu manchen Themen, über verschiedene Unternehmen, Karosseriebauer oder Speditionen recherchiert hat, sind lesenswert. Ein paar Beispiele sind die Kapitel: „Weg von der Kohle, hin zum Ölofen: So heizt man in den Sechzigern ein“ über den Wechsel des Energieträgers in Haushalten, „Damit Trabbi und Wartburg den Weg zur Ostsee finden“ über die Energieversorgung und deren Probleme in der DDR, oder „Adalbert Wandt: Erst rollt die Kohle, dann das flüssige Gold“ über eine der bekannteren Speditionen. Natürlich geht es nicht nur um rollendes Material, sondern auch um die Fortschritte bei Tankstellen, von der alten Gehwegpumpe hin zur modernen Servicestation. Wenn man sich vorstellt, dass es 1964 in der Bundesrepublik noch 38.820 Tankstellen gab, kann man einschätzen, wie wichtig der Transport und die Lieferung der Kraftstoffe damals war und welche Logistik dahinterstecken musste. Marktführer waren damals übrigens Aral mit 6.200, Shell und Esso mit jeweils 5.250 sowie BP mit 4.000 Stationen. Beeindruckend sind die vielfältigen Konstruktionen der Tanklaster, vom Aufsatztank für die Heizölversorgung bis hin zum Flugfeldtankwagen mit 80.000 Liter Fassungsvermögen. Biene geht hier auch detailliert auf die Technik, die Bauweise und Vor- und Nachteile der Konzepte ein. Die verschiedenen Tankwagenbauer in Deutschland und ihre Produkte finden Erwähnung in Wort und Bild. Aber auch die Probleme des Gefahrengut-Transports und bei der Be- und Entladung sind Thema, historische Unglücksfälle wie 1987 in Herborn, als ein Tankzug mit 33.000 Liter Benzin in eine Eisdiele raste, sind dokumentiert. Im letzten Kapitel geht der Autor kurz auf die Entwicklung von den 80er Jahren bis zur Jahrtausendwende ein, der Markt schrumpfte weiter und mehr Effizienz beim Transport war gefragt. Die Zeit der schönen, individuell gestalteten Tanklastzüge war endgültig vorbei.
Wie gesagt lebt dieser Band vom Bildmaterial und vielen interessanten Berichten, speziell über die 50er bis hin zu den 70er Jahren. Was mir allerdings fehlt, sind eine klarere Struktur und eine bessere Verbindung von Fotos und Text. Es kommt beim Lesen manchmal das Gefühl auf, dass das Buch aus einzelnen Artikeln zusammengestellt wurde, dadurch wiederholt sich manches, wenn es zum Beispiel um die Fortschritte beim Tankwagenbau geht. Wenn man hingegen mal das eine, mal das andere Kapitel liest, ist es kein Problem. Bei den Bildtexten würde ich mir manchmal mehr Information wünschen, zum Beispiel, wer den Aufbau produziert hat, soweit es recherchierbar war. Vielleicht wäre eine Tabelle über die Hersteller wertvoll, aus der man ablesen könnte, wann und wo man aktiv war usw. Das Layout ist angenehm klar, Druck und Bildwiedergabe sind gewohnt erstklassig, leider war das Lektorat etwas oberflächlich, wenn z.B. aus „unerlässlich“ „unverlässlich“ (S. 86) oder aus „Händler“ „Länder“ wird (S. 93), wird der Sinn des Textes verfälscht, das ist bei Delius Klasing eher unüblich. Die Seitenzahlen im Inhaltsverzeichnis stimmen ab dem dritten Kapitel nicht mehr, da hat man wohl irgendwo um zwei Seiten gekürzt und mit der Silbentrennung klappt es auch nicht immer.
Trotz der kritischen Anmerkungen hatte ich beim Lesen viel Spaß und empfehle dieses Buch gerne, ist es doch für ältere Leser eine Reise in die bekannte Vergangenheit, die jüngeren können sich wundern, mit welchen Schwierigkeiten man in der „guten, alten Zeit“ fertig werden musste.
„Tanklaster des Wirtschaftswunders – So kam der Kraftstoff zum Kunden“ von Ulrich Biene ist bei Delius Klasing erschienen, 184 Seiten, 453 Fotos und Abbildungen, ISBN 978-3-667-12356-5, Preis 29,90 €
Rezension: Rudi Seidel