Montag, 11. April 2022
Ausführlich dokumentiert - Die großen Volkswagen Typ 3, Typ 4 und Karmann Ghia von Kittler/Kuch bei Motorbuch
Wie die Autoren Eberhard Kittler und Joachim Kuch bereits im Vorwort schreiben, gibt es zwar massenhaft Literatur über VW allgemein und insbesondere über Käfer und Bullis in allen Variationen, aber die sogenannten großen luftgekühlten Volkswagen wurden eher stiefmütterlich behandelt. Dieses neue Buch über Typ 3, Typ 4 und den „großen“ Karmann-Ghia soll nun die Lücke füllen.
Die ersten drei kurzen Kapitel zeigen das Dilemma der Volkswagenwerke und ihrer Verantwortlichen auf. Einerseits ist der Käfer erfolgreich, andererseits verliert man Kunden, die ein luxuriöseres und größeres Fahrzeug suchen. Es gab viele Prototypen bis hin zur Stufenhecklimousine mit 100 PS-Sechszylinder-Triebwerk, natürlich im Heck, aber letztlich bekam keines dieser Projekte ein OK zur Produktion.
Der 1961 auf der IAA in Frankfurt präsentierte 1500 (intern Typ 3) war irgendwie weder Fisch noch Fleisch. Es blieb beim technischen Prinzip und sogar beim gleichen Radstand, lediglich das etwas leistungsfähigere Triebwerk, die modernere, aber dennoch biedere Karosserie und der durch den flachen Boxermotor etwas größere Kofferraum hoben den Neuen vom Käfer ab. Wie bei VW üblich, flossen ständig Verbesserungen in die Serie ein, das Programm wurde durch den Kombi namens Variant und den 1500 S mit Doppelvergaser und 54 statt 45 PS erweitert. Ab 1965 gab es den 1600 und vor allem die Fließheckvariante TL, vier Türen blieben ein Wunschtraum. 1970 erschienen die facegelifteten „Langschnauzer“ und 1973 endete die Produktion nach 2,5 Millionen Exemplaren, für einen Flop eine ansehnliche Stückzahl. Dennoch war der Typ 3 sicherlich nicht der erwünschte große VW. Die Autoren widmen dieser Typenreihe ausführliche 60 Seiten mit informativem Text, technischen Details, guten Fotos und dem Abdruck alter Dokumente und Prospekte. Auch Prototypen wie das viersitzige Karmann-Cabrio oder Einzelstücke wie der nahezu unbekannte Hofer Corrida finden Erwähnung, schade, dass man einige Autos zwar textlich, aber nicht bildlich vorstellt. Selbst im Motorsport kam es zu Einsätzen, über die kurz berichtet wird. Vor allem bei Rallyes erreichte man mit dem Typ 3 einige achtbare Platzierungen. Das Foto auf Seite 58 links unten ist aber definitiv in Australien aufgenommen, nicht bei der Rallye Monte Carlo! Informativ sind die Tabellen, die Jahr für Jahr die Modellpflege dokumentieren.
Im gleichen Stil geht es mit dem „großen“ Karmann Ghia Typ 34 weiter, hier sind vor allem die Entwicklung der Prototypen hin zum Serienfahrzeug interessant und mit vielen Abbildungen dokumentiert. Dazu kommt das ebenfalls nicht in Serie gegangene Cabrio, das wie sein viersitziges Pendant zwar auf der IAA zu sehen war, aber vom Vorstand letztlich nicht abgesegnet wurde. Zumindest Prospekte waren schon gedruckt! Einige Coupés wurden außerhalb des Werks aufgeschnitten und Karmann zeigte sogar ein Fließheck-Coupé namens TC, das heute noch im Museum steht.
Sehr interessant ist auch das Kapitel über die Entwicklungen in Brasilien, die sich teils sehr weit von der deutschen Produktion entfernten. Da gab es Viertürer, den kompakteren Kombi namens Brasilia, das Fließheck-Coupé Karmann-Ghia TC145 und den formal sensationellen Sportwagen SP-1. Dazu kamen noch der Puma und der nahezu unbekannte Ventura, beide auf Typ 3-Basis mit Kunststoffkarosserien. Selbst der Kenner lernt hier noch dazu.
Der letzten und größten VW-Neuentwicklung mit luftgekühltem Heckmotor, dem Typ 4, widmen die Autoren weitere über 50 Seiten, viel mehr dürfte man über den „Nasenbären“, wie 411 und 412 despektierlich genannt wurden, nicht mehr schreiben können. Natürlich wird die Entwicklung über die Bauzeit von 1968 bis 1974 genau dokumentiert. Serienmodelle, Prototypen, Taxis, Einsatzfahrzeuge, aber auch Einzelstücke wie das Cabrio von Karmann oder der „Nordstadt-Express“, eine 411 LE Limousine mit dem Sechszylinder-Boxer des Porsche 911 werden gezeigt. Dass ein vom niederländischen Importeur Ben Pon eingesetzter VW 411 mit Gijs Van Lennep und Jooks Klein bei der Rallye Monte Carlo 1969 Platz 4 erreicht haben soll, ist allerdings Humbug, richtig wäre Platz 16 von 27 platzierten Teilnehmern. Motorsport gehört wohl nicht zu den Kernkompetenzen des Autorenteams.
Abschließend beschäftigen sich Kittler und Kuch mit der Entwicklung bei VW, die über diverse Prototypen wie den bei Porsche konzipierten, rechtzeitig gestoppten EA 266 und die Sackgasse K70, dem von NSU stammenden Mittelklassewagen, zu den Erfolgsmodellen Passat, Golf usw. führte. So hat der Konzern nach der Käfer-Monokultur noch die Kurve zum modernen Automobil gekratzt.
Ein sehr ausführlicher Anhang beantwortet nahezu alle Fragen, die vielleicht noch offen blieben. Produktionszahlen, technische Daten, Farben und Ausstattungen, das alles wird in Tabellen, aber auch zeitgenössischen Dokumenten aufgeführt, sehr erfreulich, wenn der Leser ins Detail gehen will.
Die Aufmachung dieses neuen Titels kennt man bereits von anderen Werken, was kein Nachteil ist. Der Text ist sehr gut lesbar und stimmig, durch die manchmal fast zu vielen Illustrationen aufgelockert, auf das eine oder andere aktuelle Foto von irgendwelchen Ausfahrten hätte man meiner Meinung nach gerne verzichten können. Bis auf kleinere Unachtsamkeiten, zum Beispiel beim Bildtext auf Seite 92 oben, wo von zwei Coupés geschrieben wird, wenn Coupé und Cabrio zu sehen sind, war das Lektorat aufmerksam, Druck und Bildwiedergabe sind gewohnt gut, so kann man dieses Buch jedem empfehlen, der sich ein genaueres Bild von den großen luftgekühlten Modellen aus dem VW-Konzern machen will. So gesehen wurde das im Vorwort genannte Ziel, ein umfassenderes Buch mit mehr Tiefgang zu produzieren, sicherlich erreicht.
„Die großen Volkswagen Typ 3, Typ 4, Karmann-Ghia“ von Eberhard Kittler und Joachim Kuch ist im Motorbuch Verlag erschienen, ISBN 978-3-613-04440-1, 216 Seiten, 220 Abbildungen, 34,90 €
Rezension: Rudi Seidel