
Sonntag, 20. Juni 2021
Der professionelle Amateur - Herbert Müller "alles zu langsam!" von Jörg-Thomas Födisch und Rainer Roßbach bei McKlein
Wenn man an Schweizer Rennfahrer in den 1960er und 1970er Jahren denkt, fallen einem sicherlich zuallererst Joseph Siffert und Gianclaudio „Clay“ Regazzoni ein, die in der Formel 1 Furore machten. Im Gegensatz zu diesen beiden konnte Herbert Müller trotz einigen Anläufen in der Königsklasse nicht Fuß fassen, aber durch seine Erfolge in Rennsportwagen gehört er sicherlich zu den Großen seines Sports. Dank des Autorenteams Jörg-Thomas Födisch und Rainer Roßbach und mit der Unterstützung des Porsche-Museums erschien soeben bei McKlein eine großartige Biographie des Unternehmers, der sich selbst als „professioneller Amateur“ im Rennsport bezeichnete.
Erste Anläufe im Motorradsport und in der Formel Junior erweckten Herbert Müllers Liebe zum Rennsport und mit einem vom Vater gesponserten, drei Jahre alten Porsche 718 RSK stellten sich einige Erfolge ein. Das erregte die Aufmerksamkeit des Schweizer Rennstalls Scuderia Filipinetti, dort fand „Stumpen-Herbie“, wie er aufgrund seines Zigarrenkonsums liebevoll bezeichnet wurde, für viele Jahre eine sportliche Heimat, die ihn ans Volant der unterschiedlichsten Fahrzeuge brachte, über den Porsche 904, die Shelby Cobra 427, diverse Ferrari-Prototypen oder den Lola T70, um nur einige zu nennen. Georges Filipinetti, der Besitzer der Scuderia, konnte durch seine geschäftlichen Kontakte hochwertiges Material beschaffen, allerdings waren die Möglichkeiten des Privatteams begrenzt, was neben einigen Erfolgen leider auch zu vielen defektbedingten Ausfällen führte. Der größte Erfolg für das Team und auch für Müller war sicherlich 1966 der Gesamtsieg bei der Targa Florio zusammen mit dem Belgier „Wild Willy“ Mairesse auf einem nagelneuen, von Porsche zur Verfügung gestellten Carrera 6. Dieses Straßenrennen über die 72 km lange Strecke lag Herbie ganz besonders, durch eine 1967 gefahrene Rekordrunde auf dem eigentlich zu großen Ferrari 412 P erreichte er die Herzen der Sizilianer und 1973 wiederholte er den Sieg auf Porsche zusammen mit dem Niederländer Gijs Van Lennep.
Nebenbei bestritt Müller mehrfach mit Erfolgen die Europa-Bergmeisterschaft, schaffte insgesamt 13 Teilnahmen bei den 24 Stunden von Le Mans, wobei er zweimal den zweiten Platz belegen konnte und gründete nach der 1970 erfolgten Trennung von Filipinetti sein eigenes Team. Mit zwei Ferrari 512M und einem De Tomaso Pantera war man aktiv, dazu kamen diverse Einsätze für Porsche. Auch die Interserie und die CanAm reizten Herbert Müller, dafür ließ er sich vom bekannten Schweizer Rennwagenbauer Edi Wyss einen Ferrari 512 zum Spider umfunktionieren. Die Schattenseiten des Sports bekam Herbie auch oft zu spüren, schon 1965 starb sein Teamkollege Tommy Spychiger in Monza. 1971 verunglückte Pedro Rodriguez am Norisring tödlich in Müllers Ferrari 512 und ein Jahr später überlebte er selbst einen Unfall am Nürburgring, weil die ONS-Staffel mit Herbert Linge rechtzeitig vor Ort war und ihn aus dem brennenden Wrack zog. Höhepunkte der Karriere waren die beiden Interserie-Meistertitel 1974 und 1975, wenn auch ehrlicherweise die Konkurrenz wenig Land gegen Herbies Turbo-Porsche sah. Auch aus geschäftlichen Gründen verminderte der Schweizer ab 1977 seine Einsätze, war aber immer ein gern gesehener Fahrer bei allen möglichen Teams. Das Verhängnis kam dann 1981, als Müller zu seinem endgültig letzten Rennen startete. Die 1.000 km am Nürburgring wollte er zusammen mit Dr. Siegfried Brunn, dem Besitzer des altehrwürdigen Porsche 908 Turbo, bestreiten. Nachdem Brunn den ersten Stint absolviert hatte, übernahm Herbie das Cockpit und rammte beim Ausweichversuch wegen eines schleudernden Konkurrenten einen mit Defekt abgestellten, vollgetankten Porsche. Diesmal war kein Schutzengel da und so beendete dieser Unfall das Leben des beliebten Schweizers.
Das Autorenteam Födisch/Roßbach konnte mit der Unterstützung der Familie, vieler Weggefährten und des Hauses Porsche aus dem Vollen schöpfen und eine hervorragende Biographie produzieren. Von der Jugendzeit über die ersten rennsportlichen Aktivitäten und die lange andauernde Karriere bis zum bitteren Ende wird minutiös berichtet. Auch wenn die Anreihung von Rennteilnahmen und Ergebnissen im Text manchmal etwas ermüdend wirkt und die vielen verwendeten und meiner Meinung nach nicht nötigen Anführungszeichen den Lesefluss stören, kann man die Detailarbeit der Autoren nur bewundern. Besonders interessant empfinde ich die eingestreuten persönlichen Anmerkungen vieler Zeitgenossen sowie die eingefügten Kapitel, wie zum Beispiel über die Scuderia Filipinetti oder den Bau des Ferrari 512 Spider bei Edi Wyss. Das Bildmaterial ist grandios, man merkt, dass bei der Produktion des Buches in vielen Archiven gegraben wurde und auch eine Menge Bilder aus der Privatschatulle der Familie kamen.
Die Produktion des Werkes ist, wie von McKlein gewohnt, hochwertig, das Layout klar, die Fotowiedergabe sehr gut und der Text meist gut redigiert. Das gewählte Querformat empfinde ich für ein Autobuch optimal, so können Fotos groß dargestellt werden, ohne über den Bund drucken zu müssen. Im Anhang findet der Leser eine Statistik über alle Rennteilnahmen und Erfolge Herbert Müllers und eine kurze Erwähnung von René Killer, einem Schweizer Modellautosammler, der bereits mehr als 250 Exemplare in 1:43 von Herbert Müllers Einsätzen zusammengetragen hat.
Fazit: Diese Rennfahrerbiographie ist jedem zu empfehlen, der sich für die Langstrecken- und Sportwagenrennen der 1960er und 1970er Jahre begeistern kann und Freude hat an der Geschichte solcher echter Typen, wie der "Stumpen-Herbie" einer war. Aufgrund der Fülle an Fotos und des Inhalts sind die geforderten 79,- Euro durchaus gerechtfertigt.
Herbert Müller "alles zu langsam!" von Jörg-Thomas Födisch und Rainer Roßbach ist bei McKlein erschienen, 384 Seiten, über 500 Fotos, Text Deutsch, ISBN 978-3-947156-33-7, Preis 79,- Euro. Die Lieferung direkt vom Verlag erfolgt in Deutschland portofrei.
Fotos: McKlein, Rezension: Rudi Seidel