Sonntag, 16. August 2015

Mehr als nur VW - Die Karmann-Story von Bernd Wiersch bei Delius Klasing

Schon Anfang des Jahres wurde dieses Werk über die Geschichte einer der bedeutendsten deutschen Karosseriebaufirmen präsentiert, leider empfand eine der handelnden Personen ihr Wirken nicht richtig beschrieben, deshalb war eine überarbeitete Neuauflage notwendig, die uns jetzt vorliegt. Bis auf die Herausnahme bzw. die Umformulierung der beanstandeten Passagen sind beide Auflagen deckungsgleich.

Wie der Autor bereits im Vorwort erwähnt, stand ihm das Unternehmensarchiv nicht zur Verfügung, eigentlich schade, umsomehr ist zu bewundern, wieviel historisches Material und Fakten Bernd Wiersch, ein profunder VW-Kenner, zusammentragen konnte. Sicherlich wäre begrüßenswert, wenn zu einem späteren Zeitpunkt unter Verwendung des Karmann-Archivs eine weitere Neuauflage möglich wäre, in der die bisherige Arbeit bestätigt bzw. korrigiert würde. Wer eine Aufstellung aller jemals von Karmann gebauten Fahrzeuge und Prototypen in Form eines Catalogue Raisonée erwartet, wird enttäuscht sein, Hauptziel dieses Buches ist die Darstellung der über 100-jährigen Geschichte des Hauses und damit auch teilweise der Gründerfamilie.

Dementsprechend beginnt das Werk mit dem Lebensweg des Gründers Wilhelm Karmann senior (1871-1952), der bereits 1901 eine Wagenbaufabrik übernahm und damit selbständig wurde. Hauptgeschäftszweig war natürlich der Kutschenbau, aber bereits 1902 entstand die erste Automobilkarosse auf einem Dürkopp-Fahrgestell. Es ging schnell aufwärts, selbst die Folgen des Ersten Weltkriegs wurden durch geschickte Produktwahl wie Handwagen, Pferdekarren und ähnliches überbrückt. In den Zwanziger Jahren reiste Wilhelm Karmann in die USA, die dort aufgenommenen Impulse führten zu einer starken Modernisierung seiner Werke. In den Dreißiger Jahren prägte die Zusammenarbeit mit Adler in Frankfurt die Produktion, außerdem übernahm der Sohn Wilhelm Karmann junior zunehmend Verantwortung im Unternehmen. Auch von Hanomag und Ford konnte man Aufträge bekommen, leider zerstörte der Zweite Weltkrieg und seine Folgen erst einmal jegliche Hoffnung. Aber man gab nicht auf, kam über Ford zu einer Verbindung mit dem Volkswagenwerk und damit zu einem großen Auftragsvolumen über viele Jahre. Käfer Cabrio, Karmann Ghia, Golf Cabrio, Scirocco und Corrado wurden in erheblichen Stückzahlen produziert. Aber auch für die Auto Union, Porsche, BMW, Mercedes und Opel, um nur einige zu nennen, fertigte man Karosserien und ganze Autos. Weitere Standbeine waren die Werkzeugfertigung, die Konstruktion von Cabrioverdecken, Wohnmobile und der Prototypenbau. So war man eigentlich bestens aufgestellt, zusätzlich existierten noch Betriebe im Ausland, Karmann do Brasil wurde bereits 1960 gegründet, in den 90ern und später kamen noch Werke in den USA, Mexiko, Portugal und Polen aufgebaut. Das 100-jährige Jubiläum feierte man 2001, die Zeichen standen noch voll auf Erfolg. Hauptaufträge waren zu dieser Zeit das Mercedes SLK Cabrio, das Audi Cabrio und das Renault Mégane Cabrio. Leider war man nicht erfolgreich beim Akquirieren von Neuaufträgen, die Produktion sank dramatisch, was im April 2009 zum Insolvenzverfahren führte. Verhandlungen mit VW führten im November des gleichen Jahres zur Gründung der Volkswagen Osnabrück GmbH, so dass immerhin rund 2.000 Mitarbeiter im neuen Unternehmen Beschäftigung fanden, wenn auch zu schlechteren Bedingungen.

Bernd Wiersch hat diese Geschichte wirklich gut nachrecherchiert und das Buch lässt sich flüssig lesen. Statt streng chronologisch vorzugehen, wird in manchen Kapiteln das Geschehen parallel nach Themen dokumentiert, so zum Beispiel die Zusammenarbeit mit verschiedenen Automarken. Auch der zeitliche und wirtschaftliche Kontext wird gut erklärt. Die veröffentlichten historischen Fotos sind hochinteressant, die späteren Pressefotos und Aufnahmen der Autos aus der Karmann-Sammlung können nicht ganz mithalten. Wie schon gesagt, enthält das Buch nicht jedes Einzelstück und jeden Prototypen aus dem Hause Karmann, ein bebilderter Katalog wäre für den Sonderkarosserie-Interessierten noch eine schöne Ergänzung. Layout, Lektorat und Druckqualität sind auf dem von Delius Klasing gewohnt hohen Niveau. Ob die teilweise über den Bund gedruckten VW-lastigen Fotos als Vorspann notwendig sind, kann man sich fragen, ansonsten ist Bernd Wiersch eine interessante Chronik eines der größten deutschen Karosseriebauunternehmen gelungen. Wir haben es gerne gelesen!

„Die Karmann Story: Haute Couture aus Osnabrück“ von Bernd Wiersch ist bei Delius Klasing erschienen, 208 Seiten, 80 Farb und 39 s/w-Bilder sowie diverse andere Abbildungen in Farbe und s/w, Preis: € 29,90, ISBN: 978-3-6167-10339-7.

Besprechung: Rudi Seidel, Einbandfoto: www.zwischengas.com

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