
Sonntag, 7. Juni 2015
Etwas ganz spezielles aus der Schweiz! 50 Jahre ACS-Bergrennen Reitnau von Victor Fischer
Ganz ehrlich: von der Existenz des Bergrennens Reitnau habe ich noch nie gehört. Umso neugieriger war ich, als ich von diesem Buch las. Über diese Spezies des Rennsports gibt es ja schon einige Veröffentlichungen, wie über das Schauinsland-, das Gaisberg- oder auch das Roßfeldrennen, um nur einige zu nennen. Früher waren es durchaus auch Werksteams, die sich dort betätigten, man denke nur an Porsche, Ferrari, Abarth oder BMW. Heute sind Bergrennen ein Fall für Spezialisten, dementsprechend ausgefallen sind oft die eingesetzten Fahrzeuge. Jeder Berg hat seine Local Heroes, die oft über Jahre die Siegerlisten belegen. Deshalb nahm ich dieses neue Buch gespannt in die Hand und, soviel sei gleich gesagt, ich wurde nicht enttäuscht.
Im Vorwort nimmt Victor Fischer Stellung zur Situation in der Schweiz, wo ja bekanntlich Bergrennen erlaubt sind, während Rundstreckenrennen seit der Le Mans-Katastrophe 1955 verboten sind. Er gibt auch zu bedenken, dass mancher der speziellen Bergrennwagen aufgrund seines Leistungsvermögens durchaus gefährlich sein kann und fragt sich, ob man das Reglement daraufhin korrigieren sollte, um doch noch schwere Unfälle zu verhindern.
Da es sich um ein vom ACS (Automobilclub der Schweiz) herausgegebenes Werk handelt, dürfen einige allgemeine, kurz gehaltene Kapitel über die Gemeinde, die Organisation usw. sowie Grußworte nicht fehlen. Aber bereits ab Seite 24 geht es richtig los: Jedem Rennen werden ein oder zwei Seiten gewidmet, bersichert durch Fotos und reproduzierte Originaldokumente. Dazwischen sind Porträts der jeweils interessantesten oder erfolgreichsten Teilnehmer eingefügt. Der erste Sieger war ein gewisser Robert Wild auf Lotus Elan, dessen Renn- und auch Berufskarriere ausführlicher geschildert wird. Weitere Porträts gelten Hans Obrist, der vom Porsche 550 Spyder über Abarth, Brabham F 3 und Tecno Cosworth allerlei exotisches Gerät auch auf internationaler Ebene bewegte; Urs Hauenstein, der sich u. a. mit Lotus Cortina und Alpine 1600 betätigte und heute im historischen Motorsport zuhause ist; Patrick Studer, der immerhin 1977 Dritter der Super-V-EM und im darauffolgenden Jahr Schweizer Meister der Formel 3 wurde; und vieler weiterer Lokalgrößen. Über die Kantonsgrenzen bekannt dürfte in erster Linie Fredy Amweg sein, der vor allem mit Monoposti wie March 742, Tecno, Brabham BT 38, Martini Mk 32 BMW, Lola F3000, aber auch mit einem Eigenbau, dem Amweg-BMW F 2 viele Erfolge erzielte und 17x in Reitnau gewinnen konnte. Aber auch ein Sieg beim Schauinslandrennen in Freiburg gehörte zu den vielen (ca. 500) absolvierten Rennen Fredy Amwegs.
Die natürlich nicht zahllos vorhandenen Fotos zeigen eine unglaubliche Bandbreite von Fahrzeugen. Vom Steyr-Puch oder BMW 700 bis zu Boliden wie Ferrari Daytona, Porsche 935, Osella PA 5, BMW M1, das ist schon nett anzusehen. Auffallend ist, dass unsere Schweizer Nachbarn immer auch optisch bestens präparierte Autos an den Start bringen. Ab Mitte der 80er Jahre durften auch die Historischen mitmachen. Durch Gruppen wie die Interswiss war es möglich, heiße Geräte wie Porsche 935, GT 2 oder Lancia Delta S4 in Wertung zu nehmen, zusammen mit den Formelfahrzeugen und den teilweise speziell für den Berg gebauten kleinen zweisitzigen Rennwagen ergibt sich eine abwechslungsreiche Palette. Eine kleine Anekdote gilt dem Sauber C9, den der Aargauer Bauunternehmer Cox Kocher zusammen mit Jean-Louis Schlesser 1993 zu Demonstrationsfahrten nach Reitnau brachte. Peter Sauber ging übrigens auch dort an den Start, 1974 belegte er mit seinem C2 den dritten Platz bei den Sportwagen. Ein schönes ganzseitiges Foto aus diesem Jahr zeigt ihn im Gespräch mit einem Rennfahrerkollegen.
Ein mit weiteren interessanten Fotos versehenes Tabellenwerk enthält die ersten drei jeder Gruppe und den Tagessieger jedes Rennens von 1965 bis 2014.
Layout, Druck und Bildwiedergabe genügen höchsten Ansprüchen, sehr angenehm auch, dass der Fehlerteufel bei diesem Buch sohl nicht dabei war, da haben wir leider in letzter Zeit öfter andere Produkte erlebt.
„50 Jahre ACS-Bergrennen Reitnau“ von Victor Fischer wird direkt vom ACS Aarau herausgegeben, hat 225 Seiten und ca. 500 Abbildungen, ISBN 978-3-033-04979-6. Bestellen kann man es direkt auf der Website des Rennens , der Preis beträgt 49,- Schweizer Franken zzgl. Versand, beim derzeitigen Kurs nicht wenig, aber ein solch spezielles und schönes Buch hat seinen Preis.
Sicherlich gehört dieses Werk nicht zur Standardliteratur für eine Motorsportbibliothek, aber wer sich auch für Themen neben dem Mainstream interessiert, wird an dieser liebevoll produzierten Veröffentlichung Freude haben.
Und wer vielleicht zufällig in der Nähe ist: Das nächste Rennen findet am 27. und 28. Juni 2015 statt.
Besprechung: Rudi Seidel